Die Kunst des Singens – Rezension von Norbert Pabelick

Die Kunst des Singens – Martina Franck im Bauturmtheater

Die „Freunde der Kölner Oper“ und die „Freunde und Förderer des Theater im Bauturm“ hatten gemeinsam zu einem ganz besonderen Vertrag eingeladen. Und trotz des herrlichen Sommerwetters war der Theatersaal im Bauturm fast vollständig gefüllt, als Martina Franck, die Künstlerische Betriebsdirektorin der Oper Köln, 2 1/2 Stunden kenntnisreich, kurzweilig und amüsant über die Kunst des Singens referierte und dabei zahlreiche Tonbeispiele zu Gehör brachte.

Was sind die Kriterien, nach denen eine Sängerin oder ein Sänger für eine bestimmte Partie ausgesucht werden? Martina Franck nannte die Punkte, die sie selbst zum Maßstab macht: Die Stimme muss vor allem zuerst einmal „gesund“ sein. Technische Souveränität, Ausstrahlung, natürliches Singen, ein harmonischer Übergang aus dem Brustregister in die Kopfstimme, vielleicht sogar ein interessantes oder unverwechselbares Timbre, dann aber auch Bühnenpräsenz, Teamfähigkeit und schauspielerisches Talent sind unter vielen nur die wichtigsten Gesichtspunkte, die für ein Engagement entscheidend sind. „Eine figürlich unpassende Traviata wird nirgendwo mehr zu sehen sein, und die Unart des Stehtheaters ist eigentlich passé, Opernsänger müssen auch gute Schauspieler sein“, so Martina Franck. Eine Ausnahmesängerin wie Montserrat Caballé hätte es heute – das sei menschlich und künstlerisch sehr bedauerlich – schwer, eine vergleichbare Karriere zu starten.

Die Brüller auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, sind nicht Martina Francks Favoriten. Der Paradigmenwechsel im Gesang durch den Verismus seit Verdi, vor allem aber die enormen Anforderungen an Durchhaltevermögen und Lautstärke durch Wagner und Richard Strauss, sie hätten, so Martina Franck, dem bis Ende des 19. Jahrhunderts gepflegten Belcanto, dem Canto fiorito und dem gemischten Gesang aus Brust und Kopfstimme für lange Zeit den Garaus gemacht. Das mit der Bruststimme geschmetterte hohe C elektrisiere die Zuhörer, führe aber auch, so Kölns Operndirektorin, z.T. zu einer Verrohung des Gesangs.

Erst mit der Wiederbelebung der Opern Händels, Rossinis und besonders Bellinis werde wieder die Kunst des verzierten Gesangs in der Ausbildung junger Sängerinnen und Sänger gelehrt.

Maria Callas sei hier als Wegbereiterin von enormer Bedeutung, der peruanische Tenor Diego Flórez sei wohl im Augenblick der ideale Vertreter des „tenore contraltino“ und Cecilia Bartoli stehe beispielhaft für die souveräne Beherrschung des canto fiorito. Als Jussi Björling und Robert Merrill in dem herrlichen Duett zwischen Zurga und Nadir aus Bizets „Perlenfischer“ zu hören sind, da strahlt Kölns Operndirektorin wie auch bei den Einspielungen von Lauritz Melchiors Interpretation von „Dio mi potevi scagliar“ aus Verdis Othello und einem Auszug aus Donizettis „Anna Bolena“ mit Maria Callas. Es gab und gibt eben immer noch Sängerinnen und Sänger, die mit ganz natürlichem, auf dem Atem liegenden Stimmfluss unangestrengt und mit herrlicher Pianokultur den Gesang zur Kunst werden lassen.

Das Publikum im Bauturm spendete lang anhaltenden Beifall. Der Applaus galt auch dem Leitungsteam des Bauturmtheaters, das diese Veranstaltung in seinen Räumen ermöglichte, und dem spiritus rector der Veranstaltung, dem Vorstandsmitglied der „Freunde der Kölner Oper“, Herrn Dr. Michael Cramer, der diesen wunderbaren Vortrag initiiert hatte.

Norbert Pabelick

Die Kunst des Singens

Auf dem Foto v. links: Norbert Pabelick, Michael Cramer, Martina Franck, Theaterchef Laurenz Leky

Auf dem Foto v. links: Norbert Pabelick, Michael Cramer, Martina Franck, Theaterchef Laurenz Leky